Institut für Geologie

Öffentlichkeitsarbeit

Spurensuche im Vierwaldstättersee

Welche Informationen entlocken Geologen Sedimentbohrkernen? Viele! Würden die Gymnasiasten aus dem Kirchenfeld antworten. Erstaunt entdeckten sie dank biologischer, chemischer und physikalischer Untersuchungen einen Tsunami, Bergstürze aber auch die Eutrophierung der Seen in den 60er Jahren.

Öffnen eines Sedimentbohrkerns
Gymnasiasten öffnen einen Sedimentbohrkern des Vierwaldstättersees

Im Rahmen ihrer Projektwoche befassten sich Gymnasiasten des Kirchenfeld Gymnasiums mit einem Sedimentbohrkern aus dem Vierwaldstättersee. Zuerst gab Prof. Flavio Anselmetti einen kurzen Einstieg zur geologischen Geschichte des Vierwaldstättersees. Der Tag sollte aufzeigen, welche Umwelteinflüsse wie Tektonik, Klima aber auch der Mensch auf die Sedimente als Archive haben.

Aus Chroniken existieren Berichte zum Erdbeben von 1601, das eine Magnitude von 5.9 erreichte. Der Stadtschreiber beschrieb, dass die Ufer des Vierwaldstättersees eine Flutwelle heimsuchte, die '2 Hellebarden hoch' gewesen sei, also mehr als 4 Meter! Auch floss die Welle bis 1000 Schritt ins Land hinein. Weiter konnte man in der Stadt Luzern trockenen Fusses alle 10 Minuten das Flussbett der Reuss überqueren.

Erdbeben 1601 in Luzern
Erdbeben 1601 in Luzern
Sedimente als Umweltarchive
Sedimente als Umweltarchive

Gibt es nun auch geologische Hinweise für diese Phänomene? Um dies zu untersuchen, begeben sich Geologen mit dem Schiff auf den See um einerseits Seebodenkerne zu nehmen und andererseits Echolotmessungen durchzuführen, mit denen hochauflösende Karten des Seebodens erstellt werden (bathymetrische Karten).

Weiter legten die Geologen verschiedenste seismische Linien durch den See. Denn damit können sie weitere Informationen aus dem Untergrund des Sees holen.

Forschungsboot Vierwaldstättersee
Forschungsboot Vierwaldstättersee

Mit diesen Vorinformationen machten sich die Gymnasiasten nun an ihre Arbeit. Sie erhielten  einen Sedimentkern, dem sie an diesem Tag möglichst viele Informationen entlocken sollten. Da der Kern fast 2 Meter lang war, halbierten sie ihn und schnitten ihn der Länge nach auf. Dadurch konnten sie einen ersten Blick auf das Seesediment werfen und erkannten, dass es unterschiedliche Bereiche gab. Für die weiteren Untersuchungen teilten sie sich in eine „biologisch-chemische“ und eine „physikalische“ Gruppe auf.

Sedimentbohrkern halbieren
Die Jugendlichen halbieren den Sedimentbohrkern
Aufschneiden des Sedimentbohrkerns
Anschliessend schneiden sie den Bohrkern auf
Sedimentbohrkern öffnen
Vorsichtig öffnen die Jugendlichen den aufgeschnittenen Bohrkern
geöffneter Sedimentbohrkern
Die Jugendlichen werfen einen esten Blick in den geöffneten Sedimentbohrkern

Die „biologisch-chemische“ Gruppe fotografierte den Bohrkern und untersuchte vor allem die obersten Schichten. Deutlich lassen sich dort helle und dunkle millimeterdünne Schichten erkennen, sogenannte Warven. Schnell vermuteten die Jugendlichen, dass es sich bei den dunklen Lagen um organisches Material handelt. Messungen von Kohlenstoff bestätigten diese Annahme. Dieser dunkle Schlamm stammt von Algen, die es warm lieben und im Sommer den See bevölkern. Im Winter wird es ihnen jedoch zu kalt und sie sterben ab und sinken auf den Seeboden. Im Sommer lagern sich jeweils kalkige Lagen ab, da durch die Erwärmung des Wassers Kalk aus der Wassersäule ausfällt. Diese feinen Wechsellagerungen eignen sich hervorragend um Jahre zu zählen. Eine helle und eine dunkle Lage entsprechen jeweils einem Jahr. Im See werden innerhalb eines Jahres ca. 2 Millimeter Sediment abgelagert. Somit entspricht 1 Zentimeter 5 Jahren. Mit dieser Information konnte die Gruppe die Alter des oberen Kernbereichs gut datieren. Sie schlossen daraus, dass die grossen homogenen Bereiche im unteren Teil des Kerns vor ca. 350 Jahren abgelagert wurden, womit die dortigen Schichten wohl einen Zusammenhang mit dem Erdbeben von 1601 haben.

Sedimentbohrkern obere Hälfte
Aufnahme der oberen Hälfte des Sedimentbohrkerns
untere Hälfte des Sedimentbohrkerns
Aufnahme der unteren Hälfte des Sedimentbohrkerns

Den Jugendlichen fiel im obersten Teil ein grosser Bereich mit sehr dunklen Ablagerungen auf. Dort scheint also über eine längere Phase viel organisches Material abgelagert worden zu sein. Unter dem Mikroskop durften sie selber erstellte Präparate anschauen, in denen sie die organischen Ablagerungen genauer beobachten konnten. Sie schlossen daraus, dass offensichtlich über mehrere Jahre hinweg Algenblüten gefolgt von Massenabsterben stattgefunden haben. Verursacht wurde dies durch die Eutrophierung der Seen. Denn in den 60er Jahren wurde in der Landwirtschaft intensiv mit Phosphor und Nitrat gedüngt mit entsprechend nachteiligen Wirkungen auf die Ökosysteme der Seen. Durch die zu vielen Nährstoffe explodierte das Algenwachstum in den Gewässern und führte dazu, dass in einigen Seen im Tiefenwasser der Sauerstoff aufgebraucht wurde. Dadurch starben viele Lebewesen ab. Genau dieses Phänomen ist in den Seeablagerungen deutlich dokumentiert. In den 80er Jahren erliessen die Behörden zum Schutz der Gewässer entsprechende Verordnungen. Die Jugendlichen erkannten, dass diese ihre Wirkung erzielten und in den obersten Schichten wieder normale Wechsellagerungen folgten.

geöffneter Sedimentbohrkern
Die Jugendlichen diskutieren ihre Beobachtungen mit dem Geologen Marius Büchi

Weiter entdeckten die Jugendlichen im nächsten Abschnitt des Bohrkerns mehrere grössere helle Schichten. Diese enthalten auch sehr feinkörniges, zermahlenes Kalkgestein. Diese Ereignisse lassen sich dem Bergsturz von der Rigi und vom Bürgenstock in den letzten Jahrhunderten zuordnen.

Die „physikalische“ Gruppe wechselte ins anatomische Institut um den Kern in deren Computertomograph zu scannen. Der Scanner erstellt 3D-Schnittbilder mit einzelnen Röntgenaufnahmen. Eine Software errechnet daraus automatisch eine 2GB grosse Datei. Zurück am Institut für Geologie verglichen die Jugendlichen den aufgesägten Bohrkern mit diesen Aufnahmen. Schnell stellten sie fest, dass sie in den Aufnahmen schöne Details sehen konnten, die im Schlammkern selbst kaum erkennbar sind.

Computertomographieaufnahme des Bohrkerns
Der Bohrkern im Computertomographen im anatomischen Institut

Insbesondere konnten die Jugendlichen im unteren Teil des Kerns drei Zonen unterscheiden. In der untersten Zone konnten sie auf den Tomographiebildern erkennen, dass dieser Bereich durchaus nicht homogen war, wie auf den ersten Blick vermutet, sondern dass der Kern intern kleine Faltenstrukturen aufweist. Darüber folgt eine sehr dünne Schicht mit etwas sandigen Anteilen. Diese wird durch eine sehr homogene Schicht überlagert ohne interne Strukturen. Nun stellte sich die Frage, was dies genau bedeutet.

Computertomographieaufnah
Diskussion der Computertomographieaufnahme des Bohrkerns

Dazu nahmen sie die bathymetrischen und reflexionsseismischen Messungen des Seeuntergrundes zu Hilfe. Sie fanden auf der Bathymetriekarte deutliche, steile Anrisskanten von Rutschungen in der Nähe des Seeufers. Deutlich sind die Loben erkennbar, die die Ablagerungen der Unterwasserrutschungen im flacheren Bereich des Seebodens bilden. Die Strukturen erinnern stark an Phänomene, die auch von Schneelawinen bekannt sind. Diese grossen Unterwasserrutschungen aus Schlamm lassen sich dem Erdbeben von 1601 bei Luzern zuordnen.

Vergleich Bathymetrie - Seismik
Die Jugendlichen vergleichen die Bathymetrieaufnahmen mit den seismischen Daten.

In den seismischen Seebodenaufnahmen fallen als erstes die schön flach und regelmässig gelagerten Schichten auf. Dabei handelt es sich um die normalen Seeablagerungen, wie sie Geologen an jedem Seeboden erwarten. Am nördlichen Rand (auf dem Bild rechts) sind diese jedoch plötzlich senkrecht abgeschnitten. Die Jugendlichen zogen den Schluss, dass es sich dabei um die grosse Rutschmasse handelt, die im Bathymetriebild deutlich als grosse Loben erkennbar sind. An der Front sind zum Teil noch Reste der ursprünglichen Schichten sichtbar, die nach vorne geschoben wurden. Sie wurden ähnlich einem zähen Marmorteig chaotisch verfaltet und durchmischt. Dieser Bereich entspricht demjenigen, den die Jugendlichen im untersten Teil des Bohrkerns ausgemacht haben.

Zusätzlich entdeckten die Jugendlichen im regelmässig geschichteten Bereich, eine auskeilende Einheit, in dem keine Schichtung zu sehen ist. Die helle Farbe und wenig Kontrast zeigen an, dass dieser Bereich sehr homogen ist. Analog zu einer Lawine handelt es sich dabei um feines Material, das während dem Niedergang der Unterwasserrutschung in Suspension in die Wassersäule ging und sich von dort erst später im Vorfeld der Rutschung langsam absetzte. Über diesen massigen Schichten folgen wieder die üblichen jährlichen flachen Schichten.

Bohrkernvergleich mit Tomographieaufnahme
Die Jugendlichen unterscheiden mit Hilfe der Tomographieaufnahme innerhalb des Bohrkerns verschiedene Bereiche

Bleibt noch das Rätsel der dünnen Schicht im Bohrkern zwischen der Marmorlage und der homogenen Ablagerung. Die Jugendlichen erinnern sich an die Beschreibung, dass während des Erdbebens im 10 Minuten Takt das Reussbett trockenen Fusses durchquert werden konnte. Durch das Abgleiten der mehrere Kilometer breiten Schichten bei Weggis wurde das Wasser in die entstandene Lücke hineingezogen. Danach entwickelte sich im See eine grossräumige Wellenbewegung, die zu einem Hin- und Herschwappen des Seewassers zwischen den Ufern führte wie beim Schaukeln in einer Badewanne. Das Phänomen erinnert stark an Tsunamiwellen, wie sie in Meeren als Folge von Erdbeben bekannt sind. Dadurch entstanden am Seeboden Fliessbewegungen, die Sand und gröbere Steinchen hin- und herbewegten. Genau diese zehnminütigen Intervalle bildeten die feinen Lagen ab. Die Forscher wissen von tieferen Sedimentbohrungen, dass ähnliche Schichten wie die vom Jahre 1601 zu finden sind. Damit rekonstruierten sie bisher grosse prähistorische Erdbeben im Vierwaldstättersee vor 14'500, 13'900, 9'800, 2'200 Jahren.

Als Abschluss des Tages stellten die zwei Gruppen einander gegenseitig ihre Ergebnisse in einer kleinen Präsentation vor. Die Jugendlichen waren sehr erstaunt, wie viele Informationen sie dem Bohrkern entlocken konnten. Ihnen hat die Erforschung des Vierwaldstätterseeschlamms sichtlich Spass gemacht.

Präsentation der Ergebnisse
Schlussvorstellung der Resultate des gesamten Bohrkerns