Institut für Geologie

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Die letzte Eiszeit verbreiterte das Aare- und Gürbetal

2.2.2022

Ein Team unter der Leitung der Universität Bern konnte den Nachweis erbringen, dass die Gletscher der vorletzten grossen Eiszeit den Felsuntergrund zwischen Thun und Bern vorwiegend in die Tiefe abtrugen, während die Gletscherabtragung der letzten Vereisung mehr in die Breite erfolgte. Dafür haben die Forschenden die Geometrie des Felsuntergrundes mit Schweremessungen rekonstruiert.

Grosse Eiszeiten treten auf der Erde etwa alle hunderttausend Jahre auf. So stiessen im Alpenraum die Gletscher während der ‚Riss’-Eiszeit (vor zwischen 200'000 und 150'000 Jahren) weit ins Mittelland vor und prägten die Gestaltung der Landschaft. Das gleiche geschah während der ‚Würm’-Vereisung (vor zwischen 100'000 und 20'000 Jahre), als mehrere kleinere Eisvorstösse und dann insbesondere die grossen Gletscher vor 20'000 Jahren zu einer weiteren Veränderung unserer Landschaft führten. Diese Eismassen haben nicht nur die Hügel und Berge abgeschliffen, sondern sie führten auch zur Bildung von mehreren Hundert Meter tiefen Tälern und Schluchten, den sogenannten Übertiefungen. Diese wurden nach dem Rückzug der Eismassen mit Geröll und Schutt zugedeckt, und deshalb sind sie unter der heutigen Oberfläche verborgen.

Die Stadt Bern ist auf einem solchen unterirdischen Talsystem gebaut. Das gleiche ist auch beim Aare- und Gürbetal der Fall. Dort liegt der Felsuntergrund bis zu 200 Meter unter der heutigen Talsohle verborgen. Welche Talform haben also die beiden grossen Vereisungen hinterlassen? Haben sie eine steile Flanke und einen U-förmigen Querschnitt, oder sind sie eher V-förmig mit flach einfallenden Flanken? Diese Fragen konnten nun in einer Studie unter der Leitung des Instituts für Geologie der Universität Bern beantwortet werden. Die Forschenden konnten nachweisen, dass die Gletschererosion während der ‚Riss’-Vereisung vor allem zu einer Vertiefung dieser Übertiefungen führte. Sie konnten ebenfalls zeigen, dass die Gletscher der letzten grosse Vereisung vor 20'000 Jahre diese Täler nicht weiter vertieften, sondern verbreiterten. Die Studie wurde in der Zeitschrift Scientific Reports publiziert.

Bestimmung der Übertiefungen dank Schweremessungen

Die Übertiefungen wurden nach ihrer Bildung mit Moränen, Schotter und Seeablagerungen gefüllt. Da diese locker gelagert sind, haben sie eine geringere Dichte und sind rund 20% leichter als der sogenannte Molassefels, der die Übertiefungen an den Seiten begrenzt. Dieser Unterschied kann mit einem sogenannten Gravimeter bestimmt werden. Ein Gravimeter misst die Erdbeschleunigung am Messpunkt, und diese hängt von der Dichte des Untergrundes ab. «Diese Geräte sind sehr fein justiert, so dass auch nur geringste Abweichungen in der Dichteverteilung erfasst werden können»,  erklärt Professor Fritz Schlunegger, der die Studie zusammen mit seinem Kollegen von der ETH Zürich, Professor Edi Kissling, initiiert hat. Die Arbeit wurde von Dimitri Bandou im Rahmen seiner Dissertation am Institut für Geologie der Universität Bern durchgeführt.

Die Forschenden haben nun quer durch das Gürbe- und Aaretal Schweremessungen durchgeführt. Dabei konnten Sie auf ein Gravimeter des Bundesamts für Landestopografie swisstopo zurückgreifen. Sie konnten nachweisen, dass unter beiden Tälern Übertiefungen liegen, die mit Geröll und Seeablagerungen zugeschüttet sind. Im Gürbetal ist dieses «verborgene Tal» etwa 155 Meter tief, und im Aaretal ist die Übertiefung mindestens 100 Meter tiefer. Dass unter beiden Tälern solche Übertiefungen liegen, war schon vorher dank Sondierungsbohrungen bekannt. «Wir konnten mit den Schweremessungen aber zum ersten Mal aufzeigen, dass die Flanken dieser Übertiefungen zum Teil vertikal und ihre Solen flach verlaufen», erklärt Schlunegger. Damit konnte der Nachweis einer U-förmigen Geometrie erbracht werden. «Diese Übertiefungen wurden also durch Gletscher gebildet.»

Asymmetrische Querschnitte

Die Schweremessungen zeigten ebenfalls, dass die Übertiefungen aus zwei Stockwerken aufgebaut sind. «Im oberen Bereich sind die Flanken der Übertiefungen deutlich flacher als in der Tiefe. Damit ist der obere Bereich breit und flach, und der untere Teil ist schmal und tief», erklärt Studien-Erstautor Dimitri Bandou. Die Forschenden führen diese spezielle Geometrie auf die Abtragung der Gletscher während eines älteren und eines jüngeren Eisvorstosses zurück. «In der geologischen Vergangenheit gab es mehrere Eisvorstösse, auch im Raum Bern», so Bandou. Eine sehr grosse Vereisung fand während der ‚Riss’-Eiszeit vor zwischen ungefähr 200'000 und 150'000 Jahren statt. «Die Gletscher dieser Eiszeit waren grösser und dicker als das Eis während der letzten Eiszeit vor zwischen 100'000 und 20'000 Jahren», erläutert Bandou. Wegen der grossen Dicke konnten also die ‚Riss’-Gletscher den Felsen in die Tiefe abtragen. Die jüngeren ‚Würm’-Gletscher, welche weniger mächtig waren, führten vor allem zu einer Verbreiterung, aber nicht zu einer weiteren Vertiefung dieser Übertiefungen.

Mechanismen noch nicht verstanden

Wieso Gletscher Übertiefungen bilden, kann die Forschung noch nicht erklären. «Im Gegensatz zur Talbildung durch Flüsse können wir die erosive Wirkung der Gletscher und insbesondere die Bildung der Übertiefungen immer noch nicht mit dem Computer simulieren», erläutert Schlunegger.  Dafür fehlen detaillierte Informationen über die Felsoberfläche und insbesondere über die Flanken von solchen Übertiefungen. «Gletscher erodieren nicht nur in die Tiefe, sondern auch in die Breite, und deshalb liefern Talflanken diagnostische Informationen, damit das Wirken der Gletscher besser verstanden wird», so Schlunegger. Die soeben publizierte Studie dürfte zu einem besseren Verständnis führen, wie Gletscher die Landschaft formen.

Diese Forschungsresultate sind das Ergebnis einer langjährigen Zusammenarbeit zwischen der Universität Bern und der ETH Zürich. Das Forschungsprojekt wurde vom Bundesamt für Landestopografie swisstopo, der Stiftung Landschaft und Kies, der Gebäudeversicherung Bern sowie vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützt.

Angaben zur Publikation

Bandou, D., Schlunegger, F., Kissling, E., Marti, U., Schwenk, M., Schläfli, P., Douillet, G., Mair, D.: Three-dimensional gravity modeling of a Quaternary overdeepening fill in the Bern area of Switzerland discloses two stages of glacial carving. Scientific Reports.
Doi: 10.1038/s41598-022-04830-x

  

Kontakt

Prof. Fritz Schlunegger
Institut für Geologie, Universität Bern
Tel. +41 79 751 7254
fritz.schlunegger@unibe.ch

Dimitri Bandou (Français)
Institut für Geologie, Universität Bern
Tel. +41 78 202 0224
dimitri.bandou@unibe.ch

 

Prof. Fritz Schlunegger
Fritz Schlunegger ist Professor für Exogene Geologie am Institut für Geologie der Universität Bern. Er hat die Studie zusammen mit einem Kollegen von der ETH Zürich, Professor Edi Kissling, initiiert. zvg Fritz Schlunegger
Dimitri Bandou
Dimitri Bandou ist Doktorand am Institut für Geologie der Universität Bern. Er hat die Studie durchgeführt. zvg Guilhem Douillet