Die «Bale Mountains» sind ein Gebirge im nordöstlichen Afrika, dessen Gipfel eine Höhe bis zu 4’300 Meter erreichen. Dieses grösste afroalpine Ökosystem gilt als naturnah; die Berge sollen nach gängiger Auffassung erst in jüngster Zeit besiedelt worden sein. In einer neuen Studie, die im Wissenschaftsmagazin «Science» erschienen ist, zeigt nun jedoch eine internationale und interdisziplinäre Forschungsgruppe, dass Jäger schon während der letzten Kaltzeit vor rund 40'000 Jahren dauerhaft in diesem Gebiet siedelten.
Zu den Fachleuten aus der Archäologie, Bodenkunde, Geographie, Geologie und Biologie gehörten auch drei Forscher der Universität Bern, die die Umwelt- und Klimabedingungen in der Region analysierten und so nachweisen konnten, dass unweit des damaligen Siedlungsgebietes in den Bale Mountains Gletscher lagen. Auf Basis von archäologischen Funden konnte das Forschungsteam zudem aufzeigen, dass die steinzeitlichen Siedler in den Bale Mountains Werkzeuge aus Obsidian herstellten und sich von Riesenmaulwurfsratten ernährten.
Knochen- und Kohlereste aus der Steinzeit
Auf einer Höhe von fast 3'500 Metern in den Bale Mountains befindet sich der Felsunterstand Fincha Habera. Dort fanden die Fachleute vielfältige archäologische Hinterlassenschaften wie steinzeitliche Knochen- und Holzkohlenreste. «Basierend auf den radiometrischen Datierungen verschiedenster archäologischer Materialien handelt es sich bei dieser Fundstelle um die früheste längerfristig genutzte Wohnstätte einer Hochgebirgsregion, die uns bisher weltweit bekannt ist», erklärt der Archäologe und Erstautor der Studie, Dr. Götz Ossendorf von der Universität zu Köln. Die Datierung der Funde weisen auf eine wiederholte Besiedlung des Unterstands vor 47'000 bis 31'000 Jahren hin. Eine dauerhafte und intensive Besiedlung in grosser Höhe sei weltweit bislang nicht belegt worden.
Berner Forscher rekonstruieren Klimabedingungen
Die beteiligten Berner Forscher Alexander Groos, Prof. Heinz Veit (beide Geographisches Institut) und Dr. Naki Akçar (Institut für Geologie) rekonstruierten die steinzeitlichen Umwelt- und Klimabedingungen in der Nähe der Fundstelle. «Die Bale Mountains sind wegen der Lage in den inneren Tropen heute trotz ihrer Höhe unvergletschert», erläutert Alexander Groos, der im Rahmen seiner Dissertation die Klima- und Landschaftsgeschichte des Hochgebirges untersucht. «Moränenwälle und andere glaziale Hinterlassenschaften zeugen jedoch davon, dass das äthiopische Hochland während der letzten Kaltzeit intensiv vergletschert war», führt er weiter aus.
Gesteinsproben von Moränen aus mehreren Tälern in den Bale Mountains wurden im Labor des Instituts für Geologie an der Universität Bern analysiert und datiert, um den Zeitpunkt der verschiedenen Vergletscherungsphasen genau zu bestimmen. «Unsere Ergebnisse zeigen, dass es in den Bale Mountains vor etwa 40’000 Jahren deutlich kälter war als heute und die steinzeitlichen Jäger unweit der Gletscher siedelten», so Groos.
Werkzeuge aus Obsidian
Die Forschenden gingen auch den Fragen nach, wie die Menschen während der letzten Kaltzeit mit den Bedingungen umgingen und wie sie ihren Lebensraum gestalteten. Bei Ausgrabungen und Geländeerkundungen identifizierte das Team auf 4’200 Metern Höhe über dem Meer fünf Stellen, an denen Obsidian gewonnen wurde. Menschen in der Steinzeit nutzten dieses vulkanische Gesteinsglas, um daraus scharfkantiges Werkzeug herzustellen. In der Umgebung förderten die Forscherinnen und Forscher zahlreiche Steinartefakte zu Tage, die von Menschen bearbeitet wurden und die den Abbau von Obsidian zusätzlich belegen.
Riesenmaulwurfsratten als Grundnahrungsmittel
Eine weitere wichtige Ressource für die steinzeitlichen Jäger war die endemische Riesenmaulwurfsratte, die den Jägern während der letzten Kaltzeit als Nahrung diente. Diese Ratte kommt nur in den Bale Mountains vor und konnte ganzjährig gejagt werden. Die im Rahmen der interdisziplinären Zusammenarbeit gewonnen Erkenntnisse aus dem äthiopischen Hochland belegen, dass die steinzeitlichen Jäger die verfügbaren Ressourcen intelligent nutzten und sich bzw. ihr Verhalten dem Hochgebirgsraum anpassten.