Die Erdbebentätigkeit kann heutzutage mittels geophysikalischer Methoden wie Seismometern und GPS-Netzwerken sehr gut gemessen werden. Solche Messungen gibt es allerdings erst seit wenigen Jahrzehnten, weshalb sie sich zur Prognose von zukünftigen Erdbebengefährdungen nicht immer eignen. Vor allem für Starkbeben, die in Zeitintervallen von hunderten bis tausenden von Jahren auftreten, liefern diese Methoden nur ungenügende Hinweise. Um solche Ereignisse besser voraussagen zu können, greift man in der Erdbebenforschung deshalb auf im Gestein «eingefrorene» fossile Erdbeben zurück, die einen viel tieferen Einblick in die Erdbebengeschichte unseres Planeten erlauben. Es gibt verschiedene solcher fossiler Erdebenarchive. Im Rahmen eines SNF-Forschungsprojektes zur Energiewende (NFP70) haben die Professoren Alfons Berger und Marco Herwegh vom Institut für Geologie der Universität Bern am Grimselpass ein neues Erdbebenarchiv gefunden. Die Studie wurde im Fachmagazin Scientific Reports publiziert.
Gesteinskügelchen aus fossilen Erdbeben
Bei einem Erdbeben bewegen sich die Kontinentalplatten spontan und sehr schnell. Dabei entstehen in der oberen Erdkruste manchmal Risse. Diese füllen sich blitzschnell mit aufsteigendem heissem Wasser. Das Wasser löst dabei Fragmente aus dem Gestein und reisst diese mit. Die Fragmente werden innert kürzester Zeit In Folge einer physikalisch-chemischen Ausfällung beim Druckabbau der heissen Wässer von einer dünnen Quarzschicht umschlossen; so bilden sich sogenannte Kokarden (Gesteinskügelchen). Nach einem Erdbeben sinken die Kügelchen zu Boden und werden zementiert. Somit wird ein Zeuge eines Erdbebens im Gestein gespeichert und es entsteht ein Erdbebenarchiv. «Aus der Grösse der Gesteinskügelchen können wir die Geschwindigkeit des Wasserstroms berechnen und aus der Dicke der angelagerten Schichten die Wassermenge sowie die Grösse des Erdbebenrisses», erklärt Marco Herwegh. Die Grösse des Erdbebenrisses erlaubt dann Rückschlüsse auf die Erdbebenstärke.
Drei Millionen Jahre alte Erdbeben am Grimselpass
in einer aktiven Hydrothermal-Zone am Grimselpass haben Marco Herwegh und Alfons Berger ein solches Erdbebenarchiv entdeckt und untersucht. Das Archiv ist rund drei Millionen Jahre alt und stammt aus einer Zeit, als das Grimselgebiet noch in einer Tiefe von zwei bis drei Kilometern versenkt war. Damals wie heute wird das Gebiet von Hebungsbewegungen beeinflusst. Erdbebentätigkeit dürfte schon bei Entstehung des Archivs ähnlich schwach gewesen sein, wie dies auch heute in der Tiefe noch der Fall ist. Das Beispiel am Grimselpass zeigt, wie Erdbeben die Erdkruste aufbrechen und somit heisse Wässer aus dem Erdinnern aufsteigen. Dieser Prozess passiert in den Schweizer Alpen tagtäglich, aber die oft schwache Seismizität wird von uns Menschen nicht wahrgenommen.
«Erdbebenarchive wie jenes am Grimselpass sind für uns wichtige Hilfen bei der Rekonstruktion vergangenen Haupt- und Nachbeben und auch von interseismischen Perioden. Wenn wir die Erdbebenvergangenheit besser verstehen, können wir auch deren Zukunft besser prognostizieren», sagt Marco Herwegh. Das Verständnis über die Fliessprozesse des heissen Wassers im Untergrund sei zudem Grundlage für Anwendungen bei heissen Quellen und in der Geothermie, da die heissen Wässer entlang der durch die Natur geschaffenen Fliesswege aus dem tiefen Untergrund in oberflächennahe Bereiche transportiert werden.