Eine Analyse mariner Sedimente aus über 2 Kilometern Tiefe hat einen wichtigen Anhaltspunkt zur Lösung eines grossen Rätsels der Klimageschichte unseres Planeten geliefert. Die Rede ist von der mittelpleistozänen Wende, die vor rund 1 Million Jahren begann. Damals verlängerten und intensivierten sich die Eiszeiten, und die Zykluslänge stieg von 40 000 auf 100 000 Jahre. Ein Schlüssel zur Erklärung dieser klimatischen Wende wurde nun in den Tiefen des Südpolarmeeres gefunden, wie die Arbeit nahelegt, die in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht wurde. (*)
Das Wasser der Ozeane enthält eine sechzig Mal grössere Menge Kohlenstoff als die Atmosphäre. Deshalb können kleine Veränderungen im Austausch von Kohlendioxid (CO2) zwischen dem Ozeaninnern und der Atmosphäre eine wichtige Rolle bei Klimaveränderungen spielen. In einer internationalen Studie hat Samuel Jaccard, SNF-Förderungsprofessor an der Universität Bern, zum ersten Mal die Entwicklung der Zirkulation von tiefen und oberflächlichen Schichten des Südpolarmeeres nachgezeichnet. Diese Umwälzung ist ein für das globale Klimasystem wichtiger Mechanismus, weil dadurch das CO2 des Meeres an die Oberfläche gelangt und in die Atmosphäre entweichen kann.
Die Forschungsarbeiten deuten darauf hin, dass die Zirkulation der Schichten während der mittelpleistozänen Wende stark zurückging. Dadurch verminderte sich die vom Ozean an die Atmosphäre abgegebene CO2-Menge, was den Treibhauseffekt reduzierte und eine Intensivierung der Eiszeiten zur Folge hatte. Die Arbeiten zeigen damit die Bedeutung rückgekoppelter Mechanismen auf, die eine laufende Klimaveränderung stark verzögern oder beschleunigen können.
«Die Dynamik des Klimasystems der Erde ist sehr komplex», erklärt Samuel Jaccard. «Die Konzentration von Treibhausgasen, namentlich von CO2, spielt eine entscheidende Rolle. Sie wird von menschlichen Aktivitäten beeinflusst, aber auch von natürlichen Phänomenen und insbesondere durch das Ausgasen von Kohlendioxid aus den Ozeanen. Die Umwälzung von Wasserschichten spielt eine sehr wichtige Rolle, weil dadurch das gelöste Kohlendioxid tiefer Schichten an die Oberfläche gebracht wird, von wo es in die Atmosphäre gelangen und zum Treibhauseffekt beitragen kann. Es ist wichtig, diese Prozesse besser zu verstehen, da sie auch zur aktuellen Klimaerwärmung beitragen.»
Folgen für die aktuelle Klimaerwärmung
Die Forschenden bestimmten die Unterschiede des Salzgehalts und der Temperatur oberflächlicher und tiefer Schichten, weil diese neben weiteren Faktoren die Intensität der Umwälzung bestimmen. Die Ergebnisse zeigen, dass sich beim klimatischen Übergang zu längeren Eiszeiten zwei gegenläufige Prozesse intensivierten: Das Oberflächenwasser kühlte sich ab und gleichzeitig sank der Salzgehalt.
Schliesslich verringerte sich die Mischung der Schichten während der Eiszeiten stark. Weil dadurch die Abgabe von CO2 an die Atmosphäre und so der Treibhauseffekt reduziert wurden, kam es zu einer stärkeren Abkühlung des Klimas – zu einem «Global Cooling», wie Samuel Jaccard erklärt. «Es tritt ein typischer Teufelskreis ein: die Umwälzung der Wasserschichten nimmt ab, Niederschläge und Schmelzwasser der Gletscher sammeln sich an der Oberfläche der Ozeane und verweilen dort länger, Salzgehalt und Dichte sinken und es kommt zu einer weiteren Abschwächung der Umwälzung.»
Diese Ergebnisse sind nach der Meinung des Geochemikers für das Verständnis der heutigen Situation wichtig: «Wir beobachten seit einigen Jahrzehnten stärkere Westwinde, welche die Umwälzung und damit die Abgabe von ozeanischem CO2 in die Atmosphäre begünstigen. Dieser Trend könnte allerdings durch gegenläufige Effekte kompensiert werden: Durch die Klimaerwärmung könnte es zu einer Zunahme der Niederschläge und der Gletscherschmelze und damit des Süsswassers an der Oberfläche kommen. Es lässt sich derzeit nicht vorhersagen, was passieren wird. Um besser zu verstehen, wie sich die Zirkulation im Südpolarmeer entwickeln wird, sind Klimasimulationen erforderlich.»
Minutiöse Studie: ein Bohrkern zerlegt in Tausende von Scheiben
Um die historische Entwicklung der Zirkulation zu rekonstruieren, wurden den marinen Sedimenten in einer Tiefe von 2800 m rund 2500 km vor der Küste Südafrikas ein 169 m langer Bohrkern entnommen. Die Kernbohrungen waren Ende der 1990er-Jahre im Rahmen des International Ocean Drilling Project (IODP) durchgeführt worden. Das Team erhielt Zugriff auf die in Deutschland gelagerten Bohrkerne dank der aktiven Beteiligung der Schweiz an diesem internationalen Programm – auch durch Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds.
In seiner Doktorarbeit an der ETH Zürich zerlegte Adam Hasenfratz den Bohrkern in mehrere tausend Scheiben von jeweils einem Zentimeter, die jede etwa einem Jahrhundert Ablagerungen entspricht. In jeder Scheibe sammelte und analysierte er die Gehäuse von fossilen Foraminiferen, mikroskopische Einzeller, die eine Kalkschale besitzen. Denn die chemische Zusammensetzung der Gehäuse gibt Aufschluss über die marinen Bedingungen zur Zeit ihrer Entstehung, insbesondere den Salzgehalt und die Temperatur des Wassers.
«Zu Beginn waren sich die Experten darin einig, dass unser Projekt zum Scheitern verurteilt sei, weil die Zahl der Foraminiferen für die erforderlichen chemisch-physikalischen Analysen zu gering wäre», erinnert sich Samuel Jaccard. «Aber Adam gelang es, neue Techniken zu entwickeln, mit denen sich selbst winzige Mengen analysieren lassen. Damit konnten wir die Entwicklung der Salinität und der Temperatur des Wassers nachzeichnen.» Der Doktorand unterschied zwei Arten, die am Meeresboden (Melonis pompilioides) beziehungsweise im Oberflächenwasser (Neogloboquadrina pachyderma) leben. Dadurch konnte er gleichzeitig Daten zu Salzgehalt und Temperatur tiefer und oberflächlicher Wasserschichten über einen Zeitraum von mehr als einer Million Jahre sammeln.
Das Verhältnis zwischen der Magnesium- und Kalziummenge in einem Foraminiferen-Gehäuse hängt von der Wassertemperatur bei dessen Entstehung ab. Ausgehend vom Verhältnis der beiden Sauerstoffisotope O16 und O18 im Kalk (CaCO3) des Gehäuses, das gleichzeitig von der Temperatur und der Salinität abhängt, lässt sich auch der Salzgehalt des Wassers bestimmen. Der Grund: Da Meerwasser, welches das leichtere Isotop O16 enthält, schneller verdunstet, lässt sich aus dem Verhältnis der Sauerstoffisotope auf die Verdunstungsrate und damit auf die Salinität und die Temperatur des Wassers schliessen.
Die Analyse zeigt, dass sich das Oberflächenwasser im Laufe der letzten Million Jahre abkühlte, insbesondere während der Eiszeiten. Damit sank die Temperaturdifferenz zu den kalten tiefen Schichten, wodurch die Zirkulation eigentlich angetrieben worden wäre. Dieser Trend wurde jedoch durch die deutlich reduzierte Salinität an der Oberfläche umgekehrt: Die Dichte des Oberflächenwassers sank und damit auch dessen Tendenz zum Austausch mit tiefen Schichten. Durch die in der Studie festgestellte stark verminderte Zirkulation speicherten die tiefen Schichten mehr gelöstes CO2 – mit weitreichenden Folgen für die Entwicklung des Klimas.
Mit dieser Studie begann Samuel Jaccard an der ETH Zürich. Im Rahmen einer SNF-Förderprofessur führte er sie an der Universität Bern weiter. Die Studie wurde in Zusammenarbeit mit dem Max Planck Institut für Chemie in Mainz (Deutschland), mit der Princeton University (USA), der Universität Cambridge (Vereinigtes Königreich), der Universität Bergen (Norwegen) sowie dem British Antarctic Survey durchgeführt. Sie wurde unterstützt vom Schweizerischen Nationalfonds, der National Science Foundation, ExxonMobil, der BNP Paribas Foundation, der ACE Foundation sowie Ferring Pharmaceuticals.
(*) Adam P. Hasenfratz, Samuel L. Jaccard et al.: The residence time of Southern Ocean surface waters and the 100,000-year ice age cycle. (Science, 2019). doi:10.1126/science.aat7067