7.5.2019
Einem interdisziplinären Team der Universität Bern ist es gelungen, mit Hilfe von kosmischen Teilchen die Basis des Eigergletschers abzubilden und zwar dort, wo er entsteht. Die Forschenden konnten so zum ersten Mal den Nachweis erbringen, dass Gletscher in ihrem Ursprungsgebiet den Fels nach hinten abraspeln und muldenförmige Landschaften bilden.
Wie entstehen die typischen alpinen Landschaften mit einer Mulde und einem See, begrenzt durch einen steilen Gipfelkranz? Hängt die Bildung einer solchen Landschaft mit der Abtragung von Gletschern zusammen? Diese Fragen konnten nun von einem interdisziplinären Team des Physikalischen Instituts und des Instituts für Geologie der Universität Bern im Rahmen eines vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Projektes beantwortet werden. Die Forschenden haben dazu mit einer speziellen Technik, der Myonen-Radiographie, den Eigergletscher «geröntgt», und zwar dort, wo er beginnt. So konnten sie nachweisen, dass Gletscher in ihrem Ursprungsgebiet den Fels nach hinten raspeln, diesen dabei übertiefen und so eine Mulde schaffen – die sogenannten Karmulde. Dort kann sich ein See bilden, wenn der Gletscher vollständig weggeschmolzen ist. Die Studie wurde in der Open-Access-Zeitschrift Scientific Reports publiziert.
«Röntgen» im Jungfraubahntunnel
Die Forscherinnen und Forscher verwendeten für ihre Untersuchungen die Myonen-Radiographie, eine Methode, die sie schon früher erfolgreich angewandt haben. Bei dieser Technik wird der Gletscher mit Hilfe von Myonen «geröntgt». Bei den Myonen handelt es sich um hochenergetische kosmische Teilchen, welche Fels und Eis durchdringen und dabei unterschiedlich abgebremst und umgelenkt werden. Um die Bewegungen der Myonen zu verfolgen, installierte das Team Emulsionsfilme an drei Standorten im Tunnel der Jungfraubahnen. Die Filme sind mit einem Silberbromidgel beschichtet, welche die eintreffenden Myonen registrieren. Dabei entstehen mikroskopisch kleine Punkte auf den Filmen. Die Installation im Jungfraubahntunnel erfolgte so, dass die Filmoberflächen unter den Eigergletscher gerichtet waren. «Eintreffende Myonen durchdringen damit zuerst den Gletscher, dann den darunterliegenden Fels. Sie treffen im Jungfraubahntunnel schliesslich auf die Emulsionsfilme», erklärt Fritz Schlunegger vom Institut für Geologie der Universität Bern. Die Myonenspuren auf den Filmen wurden anschliessend im Labor unter dem Mikroskop vermessen und gescannt. «Damit können wir ein hochauflösendes, dreidimensionales Bild der Basis des Eigergletschers anfertigen, was Rückschlüsse auf die Prozesse unter dem Gletscher zulässt», sagt Schlunegger.
Erstmaliger Nachweis des Bildungsprozesses
Das Team konnte zeigen, dass der Gletscher bei seinem Ursprung den Fels übersteilt und nach hinten abraspelt. Damit entstehen kolkartige (wassergefüllt, wenn Gletscher zurückgeschmolzen sind) Vertiefungen – die sogenannten Karmulden. Diese Karmulden sind typisch für die alpine Landschaft und werden sichtbar, wenn ein Gletscher vollständig geschmolzen ist. Eine solche tiefe Mulde liegt am Fusse der Jungfrau und insbesondere unterhalb des Jungfraujochs. «Diese Abtragungsmechanismen sind schon früher postuliert worden, und wir konnten nun zum ersten Mal den Nachweis dieser Prozesse unter einem aktiven Gletscher liefern», fasst Schlunegger die Neuerkenntnisse zusammen.
Das Projekt ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit unter der Leitung von Prof. Fritz Schlunegger (Geologie) und Prof. Antonio Ereditato (Teilchenphysik). Es wurde vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF), der Internationalen Stiftung Hochalpine Forschungsstationen Jungfraujoch und Gornergrat (HFSJG), sowie den Jungfraubahnen unterstützt.